Wir Emsländer sind, so lange die Geschichte aus unserm „Nordlande“ etwas zu melden weiß, niemals verwöhnt worden, und wenn die Franzosen uns etwa in Bezug auf Essen und Trinken mit ihrem in unserer Sprache gar nicht einmal zutreffend übersetzbarem Worte „gourmets“ beehren wollten, würden wir das vielleicht höchstens für ein Köppken guten Bohnenkaffees gelten lassen, wie unsere friesischen Nachbarn für ein Kopje echten Tees, das die Leute im Binnenlande ihnen nicht so leicht nachmachen.
Aber etwas Däftiges und Kräftiges haben wir stets zu würdigen verstanden und deshalb auch ein inneres Behagen empfunden, wenn wir im heimatlichen Bauernhause neben prächtigen Schinken unterm Wiem auch lockende eingeschnürte Stücke „Nagelhold“ aus geräucherten Rinds= oder Schafskeulen erblickten. Wer über die Bedeutung dieser Benennung nachgedacht oder auch nicht nachgedacht hat, wird wohl insgemein zu der „selbstverständlichen“ Annahme kommen, daß diese ihren Namen „hold“ deshalb führen, weil sie infolge der Trocknung äußerlich hart wie Holz geworden seien und an einem Nagel hängen.
Dennoch ist diese Worterklärung nur zutreffend, was den „Nagel“ betrifft. Das „hold“ hat dagegen mit „Holz“ gar nichts zu tun, und deshalb ist es in der Ueberschrift dieser Notiz auch nicht mit einem „t“ am Ende, sondern mit „d“ wiedergegeben. Es ist vielmehr ein uraltes, auf deutschem Gebiete nur im emsländisch=friesischen Plattdeutsch bis auf den heutigen Tag erhaltenes Wort, das „Fleisch“ bedeutet. Bei den südgermanischen Volksstämmen muß es schon früh ausgestorben sein, da es in der gotischen Bibelübersetzung des arianischen Bischofs Wulfila (360 n. Chr.) trotz mancher Gelegenheit nirgends gebraucht wird. Dagegen findet es sich in der um 1130 auf Island verfaßten nordischen Lieder=Edda als Neutrum sehr oft in der Schreibung „hold“ für Fleisch, wogegen holt „Holz“ bedeutet. Nach den Regeln der „Lautverschiebung“ müßte jetzt im Hochdeutschen „hold“ durch „Holt“ wiedergegeben werden, wie „holt“ auch richtig „Holz“ heißt. Noch jetzt bedeutet in der isländischen und norwegischen Sprache „hold“ Fleisch.
Hiermit ist wohl der Name „Nagelhold“ sicher erklärt und zugleich für das Alter der Bereitung dieser Dauerfleischart ein Fingerzeig gegeben, zumal „hold“ für Fleisch bei uns nur in dieser Bedeutung sich erhalten hat. Die sprachlichen Verbindungen zwischen dem germanischen Norden und unserer Gegend gehen nicht über 450 n. Chr. (Angelsachsenzug unter Hengist und Horsa) hinaus, und da die Bezeichung „hold“ für die in Rede stehende Fleischsorte sich nur auf ein schmales norddeutsches Küstengebiet beschränkt hat, das etwa um dieselbe Zeit von den seefahrenden Friesen besetzt wurde, liegt die Wahrscheinlichkeit vor, daß auch durch diese die Zubereitung des „Nagelholds“ vom Norden her im Emslande bekannt wurde.
H.A.
Quelle: Mein Emsland 6. Jahrgang 1930 Beilage zur Ems-Zeitung
Druck und Verlag: Buchdruckerei der Ems-Zeitung L. Rosell, Papenburg